Die Novelle "Die Legende vom heiligen Trinker" von Joseph Roth erzählt die faszinierende Geschichte von Andreas, einem einst obdachlosen Alkoholiker, der durch eine überraschende Geldspende plötzlich Wohlstand erlangt.

Andreas wird als schmutziger Obdachloser betitelt. Er muss sich immer waschen und ist äußerlich unrein. Trotzdem kann man ihn durch seine Naivität und seine Empfänglichkeit für Wunder als heiligen Gottesnarren sehen. Dieser spielt in der Ostkirche immer wieder eine Rolle. Zudem wird im gesamten Buch das Gesellschaftsbild zur Zeit von Roth beschrieben. Im Buch wird immer wieder betont, dass die Obdachlosen unter den Brücken neben der Seine leben, während die reichen Bürger eher oberhalb der Treppe stehen. Verglichen kann man sagen, dass somit die Reichen über den Obdachlosen stehen und die Treppe hinabschauen bzw. hinabkommen, um zu den Obdachlosen zu gelangen. Man steigt die Treppe hoch, wenn man Geld besitzt. Immer wenn Andreas somit kein Geld besitzt, geht es für ihn abwärts.

Verteilt über das ganze Buch wird zudem die Waschung beschrieben. Andreas geht direkt, nachdem er am Morgen aufgestanden ist, sich in der Seine waschen. Die Waschung ist ein Symbol von Verwandlung und Erneuerung. Man kann jedoch diskutieren, ob es eine Anspielung darauf ist, dass Andreas sich nach innerer Reinheit strebt, oder ob er sich einfach an den bürgerlichen Standard anpassen möchte, weil er diese Waschungen immer dann durchführt, wenn er Geld erhalten hat und nicht mehr bei den Obdachlosen in der Gesellschaft steht. Auch weiter im Buch geht Andreas sich im Hotelzimmer reinigen. Dies kann man so interpretieren, weil man weiß, dass Joseph Roth zwar als Jude geboren wurde, später dann aber zum Katholizismus konvertierte. Der ältere Herr, welcher Andreas zu Beginn des Buches das Geld gegeben hat, ist auch ein Mann, der erst durch die heilige Therese zum Katholizismus gefunden hat. Man kann ihn somit auch mit Joseph Roth vergleichen. Anzeichen von sich selbst hat Joseph Roth nicht nur im älteren Herrn untergebracht, sondern auch bei Andreas. Wie vielen bekannt ist, wurde Roth zu seinem Lebensende ein Trinker. Genau wie Andreas es war. Weiterhin war Andreas nicht gebürtig ein Franzose, sondern ist für die Arbeit von Polen nach Paris gezogen. Joseph Roth lebte auch seine letzten Stunden in Paris. Er verbrachte wie Andreas ein Leben mit finanziellen Schwierigkeiten und persönlichen Problemen. Somit kann man sagen, dass sich Joseph Roth selbst als Inspiration für seinen Charakter genommen hat.

Der wohl größte Punkt zum Interpretieren ist der Titel selbst. Dieser erweckt eine gewisse Neugierde, und man hat direkt viele Fragen im Kopf. „Legende“ ist meist eine Erzählung über mythische Geschichten, und zusammen mit dem „heiligen Trinker“ erscheint ein Paradox. Wenn man ein Trinker ist, wird man meistens mit negativen Eigenschaften verbunden, jedoch nie oder selten mit heilig. Da kann die Wortwahl „Legende“ darauf hinweisen, dass diese Erzählung von Andreas mehr als nur eine einfache Erzählung ist. Es kann sein, dass Erfahrungen und die Veränderungen des Protagonisten in der Novelle einen tieferen Gehalt haben. In diesem Kontext fordert der Begriff „heilig“ dazu auf, die traditionellen Vorstellungen von Heiligkeit zu überdenken und in Erwägung zu ziehen, dass spirituelle Qualitäten nicht nur in äußeren moralischen Perfektionen gefunden werden können. Man kann Leser auf eine Art modernes Märchen lenken.